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Stadtarchiv & Heimatgeschichte
Walter Kastner übergibt Sammlung
Es gab eine Zeit, da mussten Fotografen noch Filmspulen in ihre Fotoapparate einlegen. Nicht einmal der Transport des Filmstreifens in der Kamera funktionierte automatisch, sondern musste mechanisch ausgelöst werden. Bildbearbeitungsprogramme, automatische Filter – all das gab es nicht oder in der analogen Welt noch sehr, sehr begrenzt. Experimente in der Dunkelkammer und selbstgebastelte oder auch gekaufte Objektivfilter erzeugten gewisse Effekte auf den Fotos, ansonsten waren Fotograf*innen weitgehend auf Erfahrungswerte, eigenes Können und die richtige Wahl der Lichtquellen angewiesen. Mit großer Leidenschaft widmete sich der ehemalige Oberstudienrat Walter Kastner diesem Hobby. Zu seinen bevorzugten Motiven gehörten unter anderem Landschafts- und Architekturaufnahmen Gelnhausens, Detailaufnahmen von Reliefs, die die Eingänge zur früheren Herzbachkaserne zierten, und Detailaufnahmen der Marienkirche. Kürzlich übergab Walter Kastner, der im November diesen Jahres 90 Jahre alt wird, den größten Teil seiner Sammlung an Gelnhausens Bürgermeister Daniel Christian Glöckner und Stadtarchivleiterin Anette Vinnen.
Durch das Smartphone als leistungsfähige und stets einsatzbereite Digitalkamera hat sich die Welt der Fotografie komplett gewandelt. Für das erste Foto der Welt soll Joseph Nicéphore Niépce noch eine Belichtungszeit von gut acht Stunden benötigt haben. Als Walter Kastner 1950 seine erste Kamera kaufte, war die Technik schon ein wenig weiter gereift. Damals hielt Kastner zunächst nur Begebenheiten und Ereignisse innerhalb der Familie fest. 1960 zog er von Ansbach nach Gelnhausen und trat eine Stelle am Grimmelshausen-Gymnasium Gelnhausen an, wo er alte Sprachen und Geschichte unterrichtete. Parallel entdeckte er die Gassen der Barbarossastadt und war fasziniert von den in Sandstein gehauenen Figuren und Fratzen, die ihm überall in der Altstadt begegneten. Um ihren besonderen Charakter einzufangen, neutralisierte er ihre Erhebungen und Vertiefungen nicht mit einem Blitzlichtgewitter, sondern spürte dem Einfall des Sonnenlichtes auf die Figuren nach, um sie dann im richtigen Moment zu fotografieren. Viel Zeit investierte er ins Fotografieren der in Stein gehauenen Kriegsszenen an der Fassade der von den Nazis erbauten Wehrmachtsgebäude in der ehemaligen Kaserne. Sein persönlicher Blick auf die ausgewählten Motive, kombiniert mit dem einen Moment, in dem sie das natürliche Licht von einem bestimmten Winkel aus trifft, faszinierte auch die Ausstellungsbesucher*innen, denen der ehemalige Gymnasiallehrer seine Werke 1995 in der Volksbank in Gelnhausen präsentierte.
Walter Kastner, der immer noch in Gelnhausen lebt, hat bis 1993 Generationen von Schüler*innen die Weltgeschichte nähergebracht. Seine Foto-Sammlung aber ist seine ganz persönliche „Liebeserklärung an eine Stadt mit einer großen Vergangenheit“, wie er sagt. Seine Frau unterstreicht, mit wieviel Herzblut und Hartnäckigkeit er an sein Hobby herangegangen ist. Diese Leidenschaft blieb freilich nicht nur auf Gelnhausen beschränkt – auch Motive historischer Stätten in Griechenland, Italien und anderen Ländern hat Kastner mit der Kamera „eingefangen“.
Bürgermeister Daniel Christian Glöckner, der den Hobby-Fotografen gemeinsam mit Anette Vinnen zu Hause besuchte, nahm die Sammlung für das Stadtarchiv dankbar an. Sie umfasst mehrere Bände mit Farbabzügen und Diakästen von Motiven aus dem Bereich Alltag, Architektur, Historie und Landschaft Gelnhausens. „So manche Aussicht, die Walter Kastner festgehalten hat, ist heute so nicht mehr zu genießen. Zum Beispiel der Blick von der Müllerwiese zum Hexenturm. Da steht seit vielen Jahren das Parkhaus“, bemerkte der Rathauschef. Ein Grund, weshalb der 89-Jährige seine Sammlung an die Stadt gibt und in professionelle Hände legt. „Ich möchte nicht, dass all die Bilder und Ansichten verlorengehen“, beschreibt er seine Motivation. „Wir würden uns sehr freuen, wenn mehr Zeitzeugen dem Beispiel von Walter Kastner folgen würden. In unserem Stadtarchiv können solche Sammlungen für die Allgemeinheit und die Zukunft bewahrt werden“, so Glöckner. Als fach- und sachkundige Ansprechpartnerin steht Anette Vinnen unter der Telefonnummer 06051 830-306 (AB) oder per E-Mail unter archiv@gelnhausen.de zur Verfügung.
Foto: Walter Kastner (Mitte) übergibt seine Foto- und Dia-Sammlung mit Gelnhäuser Motiven an Anette Vinnen, Leiterin des Stadtarchivs, und Bürgermeister Daniel Christian Glöckner.